17.06.2025
Politik
Eine toxische Nachbarschaft: Thailand und Kambodscha
Warum Thailand und Kambodscha im Dauerclinch sind
Eine Geschichte voller Wunden
Der Konflikt wurzelt tief in der Geschichte: Thailand (ehemals Siam) und Kambodscha verbindet eine gemeinsame, oft gewaltsame Vergangenheit. Immer wieder gerieten die Länder aneinander – teils direkt, teils über koloniale Umwege:- Angkor Wat, das Herz kambodschanischer Identität, wurde von vielen Thais historisch als "eigentlich thailändisch" gesehen. Manche glauben, es sei heute Teil Thailands, wäre Frankreich nicht dazwischengekommen.
- Die Provinz Siem Reap, wo Angkor Wat liegt, bedeutet übersetzt "Ort, an dem die Siamesen besiegt wurden". Schon der Name ist eine Provokation.
- Während des Franco-Thai-Kriegs (1941-1946) versuchte Thailand mit japanischer Hilfe, Teile Kambodschas wieder unter Kontrolle zu bringen - erfolglos.
- 2003 wurde die thailändische Botschaft in Phnom Penh niedergebrannt - bis heute einmalig in der Geschichte thailändischer Auslandsvertretungen.
Auch bei der Grenzfestlegung durch die Franzosen (während der Kolonialzeit) fühlen sich viele Thailänder bis heute betrogen. Deshalb erkennt Thailand das Urteil des Internationalen Gerichtshofs in Grenzfragen nicht an.
Mehr als ein Grenzproblem: Die aktuelle Lage
Im Zentrum des jüngsten Streits stehen nationalistische Gruppen in beiden Ländern. Sie schüren Ressentiments, fordern Boykotte, Grenzschließungen und fordern die Regierungen auf, „hart durchzugreifen“.Dieser aggressive Ton hat inzwischen messbare Auswirkungen auf Wirtschaft und Bevölkerung beider Länder:
Folgen für Thailand:
- Handelshemmnisse: Der Export thailändischer Konsum- und Agrarprodukte ist durch neue Verbote erschwert - besonders betroffen sind Kleinbauern und Grenzhändler.
- Tourismus und Kulturindustrie: Kambodscha hat den Import thailändischer TV-Serien und Filme gestoppt. Stattdessen wird nun Propagandamaterial über Hun Sen gesendet - den ehemaligen Premierminister und heutigen Senatspräsidenten.
- Boykottkampagnen: Hun Sen selbst rief öffentlich zum Boykott thailändischer Waren auf.
- Einbußen für Unternehmen: Reiseveranstalter, Internetanbieter und thailändische Hotels in Phnom Penh spüren den Einbruch deutlich.
Folgen für Kambodscha:
- Tourismuseinbruch: 2024 waren mit 2,1 Millionen Besuchern die meisten ausländischen Touristen in Kambodscha Thailänder. Ein Rückgang trifft die kambodschanische Tourismusbranche empfindlich.
- Arbeitsmigration in Gefahr: Etwa 500.000 kambodschanische Arbeitsmigranten in Thailand könnten von Rückführungen betroffen sein - ein drastischer Einschnitt für viele Familien.
Politische Explosivität auf beiden Seiten
Die politischen Lager in beiden Ländern nutzen den Konflikt für eigene Zwecke. In Thailand greifen Anti-Thaksin-Gruppen die aktuelle Regierung unter Paetongtarn Shinawatra an – wegen ihrer Nähe zur Familie Hun Sen. Manche hoffen sogar auf einen Militärputsch, um die Regierung zu stürzen.Ein bezeichnender Moment: Eine Umfrage der NIDA (Juni 2025) zeigt, dass über 60 % der Bevölkerung der Armee mehr vertrauen als der eigenen Regierung, wenn es um die nationale Sicherheit im Kambodscha-Konflikt geht. Kein Wunder also, dass sich der harte Ton verschärft – unter anderem vom Kommandeur der 2. Armee, Generalleutnant Boonsin Padklang, der martialisch erklärte: „Dies ist mein Land. Wenn ihr es wollt, lasst uns duellieren.“
Auch Kambodschas politische Elite steht unter Druck. Sie will Stärke zeigen und beweisen, dass man nicht länger in Thailands Schatten steht – und vor allem keine Marionette der Familie Shinawatra ist.
Hass in der digitalen Parallelwelt
Ein weiteres brandbeschleunigendes Element ist der Hass der auf Social Media verspritzt wird. Nationale Ehre, historische Deutungen und kulturelle Ursprünge werden dort mit einer toxischen Mischung aus Ignoranz und Fanatismus diskutiert.Einige der absurden Streitthemen:
- "Hat Thailand Muay Thai von der Khmer-Kultur geklaut?"
- "Wurde Angkor Wat wirklich von Khmer erbaut oder ist es eigentlich thailändisches Erbe?"
- "Sind thailändische Zahlen, Wörter und Tempel nur eine Kopie khmerischer Kultur?"
- Gegenseitige Beleidigungen wie "Thief Land" (Thailand) und "Claimnodia" (Kambodscha) machen die Runde.
- Der Vorwurf, dass Thailand während des Khmer-Rouge-Regimes Flüchtlinge aufnahm - "und nun sind die Kambodschaner undankbar".
- Umgekehrt fordern manche Kambodschaner Gebiete im heutigen Thailand zurück, weil sie einst zum Khmer-Reich gehörten.
Der virtuelle Krieg der „Keyboard Warriors“ heizt die reale Welt zusätzlich auf – faktenfrei, aber dafür umso lautstärker.
Offiziell feiern Thailand und Kambodscha 2025 das 75-jährige Jubiläum ihrer diplomatischen Beziehungen. In Wahrheit ist es eine Beziehung voller Kränkungen, Misstrauen und gegenseitiger Schuldzuweisungen. Kein anderes Nachbarland hat Thailand in derart vergifteter Weise gegenübergestanden – weder Malaysia noch Myanmar, Laos oder Vietnam.
Solange Geschichte als Waffe dient, Ultrapatriotismus als Tugend gilt und soziale Medien als Brandbeschleuniger wirken, bleibt diese Nachbarschaft ein Pulverfass. Eine Entschärfung scheint nicht in Sicht.
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