22.05.2025
Kultur
Thailändischer Film gewinnt in Cannes mit queerer Politsatire
„A Useful Ghost“ - Geister, Staubsauger und Staatskritik
Cannes, Frankreich – Was wie eine schrille Geisterkomödie mit Instagram-Star-Besetzung daherkommt, entpuppt sich als subversives Meisterwerk mit politischer Sprengkraft. Der thailändische Regisseur Ratchapoom Boonbunchachoke sorgte beim diesjährigen Filmfestival von Cannes für Aufsehen – und gewann prompt den Hauptpreis der „Semaine de la Critique“, der renommierten Kritikerwoche.
Sein Film „A Useful Ghost“ (Ein nützlicher Geist) ist eine queere, absurde, tiefsatirische Geistergeschichte, in der eine tote Frau zurückkehrt, um – im Körper eines Staubsaugers – ihren Ehemann zu trösten. Was klingt wie ein schräger Sketch aus dem Nachtprogramm, ist in Wahrheit eine politisch scharfe Abrechnung mit Thailands Geschichtsvergessenheit.
Die Hauptrolle spielt niemand Geringeres als Davika „Mai“ Hoorne, Schauspielerin, Model und Social-Media-Superstar mit 18 Millionen Instagram-Followern. Sie mimt eine verstorbene Ehefrau, die aus dem Jenseits zurückkehrt und die heimische Elektronik in einen grotesken Bandenkrieg verwickelt. Doch der Staub, den sie aufwirbelt, ist nicht nur metaphorisch: Der Film thematisiert, wie Thailands politische Vergangenheit systematisch weggekehrt und vergessen gemacht wird.
Zunächst ist die Familie wenig begeistert von der wiederbelebten Schwiegertochter. Doch schnell wird ihr „Talent“ entdeckt: Geister aufspüren und beseitigen. Ein Minister wird auf sie aufmerksam – und setzt sie ein, um „Dissidentengeister“ zu jagen, darunter auch Seelen von Menschen, die bei realen politischen Protesten ums Leben kamen.
Ratchapoom verweist dabei offen auf die blutige Realität Thailands: Die Proteste der „Rothemden“ im Jahr 2010, bei denen über 90 Menschen – größtenteils Zivilisten – von Armee und Polizei getötet wurden. „Damals gab es nach den Demonstrationen eine regelrechte Putzaktion“, erzählt der Regisseur. „Menschen mit Besen und Wasser tauchten auf, um das Blut und alle Spuren zu entfernen. Es war eine bizarre Kampagne der staatlich organisierten Verdrängung.“
Er erinnert sich auch an eine absurde Anekdote, bei der ein Mango-Baum gefällt wurde, nur um zu verhindern, dass sich jemand an eine dort geschehene Exekution eines vermeintlichen Kommunisten erinnert. „In Thailand versucht der Staat immer wieder, alles zu löschen, was ihm nicht passt“, sagt Ratchapoom – sein Film ist eine Reaktion darauf.
In Thailand sind LGBTQ-Liebesgeschichten im Mainstream-Kino mittlerweile verbreitet – doch Boonbunchachoke geht einen Schritt weiter. „Ich will, dass queere Charaktere mehr tun als sich nur zu verlieben oder zu outen. Sie sollen auch politisch aktiv sein – sie sollen unbequem sein“, betont er. „Wir brauchen vielfältigere queere Geschichten.“
Davika, die bereits im thailändischen Kassenschlager Pee Mak einen Geist spielte, lobt die Radikalität des Projekts: „Man muss sehr mutig sein, um so eine Geschichte überhaupt zu drehen – und dann auch noch international laut auszusprechen.“ In Thailand, so ergänzt sie, dürfe man über vieles offiziell nicht reden.
Die politische Lage, auf die der Film anspielt, bleibt hochaktuell: Thaksin Shinawatra, über den 2010 protestiert wurde, kehrte 2023 aus dem Exil zurück. Seine Partei übernahm die Regierung, 2024 wurde seine Tochter Paetongtarn Shinawatra Premierministerin. Doch Thaksin bleibt eine Reizfigur – beliebt in seiner Basis, aber verhasst beim monarchietreuen Establishment. Im Juli steht er vor Gericht – wegen Majestätsbeleidigung.
Vor diesem Hintergrund ist „A Useful Ghost“ kein simpler Festival-Gag, sondern eine mutige Kritik an staatlicher Geschichtspolitik, verpackt in popkulturelle Absurdität.
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